Die volle Halle, das Abspielen der Nationalhymne, das erfrischende Spiel seiner Mannschaft: Es ist das kleine bisschen Handball-Normalität, bei dem Slava Lochmann dieser Tage das Herz aufgeht. Die Gedanken an den fürchterlichen Krieg in der Heimat rücken für den ukrainischen Nationaltrainer und sein Team in diesen Momenten zumindest für 60 Minuten in den Hintergrund.

Lochmann und seine Mannschaft haben dramatische Tage und Wochen hinter sich, nun sind sie vorerst in Sicherheit und sammeln mittels Benefizspielen Geld für die Menschen in der Ukraine. Seitdem sie vor gut zwei Wochen vom TV Großwallstadt aufgenommen worden sind, erfahren sie eine Welle der Solidarität. Lochmann, früher selbst Bundesligaprofi in Großwallstadt, ist überwältigt. "Danke für alles", sagt er.

Nach zwei Spielen gegen Drittligisten aus der Umgebung stand am Freitagabend die Partie gegen die Profis der HSG Wetzlar in Leutershausen auf dem Programm - das Motto: "Handball für den Frieden". Man wolle, so HSG-Geschäftsführer Björn Seipp, nicht bloß ein Zeichen der Solidarität mit den Menschen in der Ukraine setzen. Es gehe auch darum, dem Nationalteam die Möglichkeit zu geben, "längerfristig mit ihren Frauen und Kindern hier in Deutschland bleiben zu können". So würde neben der Unterstützung für die "Aktion Deutschland hilft" ein Teil der erzielten Einnahmen eben dafür verwendet werden. Auch das Wetzlarer Team steuert eine Spende aus der Mannschaftskasse bei.

Durch einen Sondererlass des ukrainischen Sportministers darf die ukrainische Auswahl noch bis kommende Woche ihr knapp dreiwöchiges Trainingslager in Großwallstadt absolvieren. Wie es danach für die Spieler und ihre Familien weitergeht, ist offen. "Ich habe mit unserem Verbandspräsidenten gesprochen. Vielleicht können wir noch zwei Monate länger bleiben. Ich hoffe, dass die Mannschaft nicht nach Hause muss", sagt Lochmann.

In Großwallstadt erfahren er und seit Team derzeit eine Unterstützung, wie sie im Profisport selten ist. Der ortsansässige Zweitligist, ein Klub mit großer Geschichte, früherer Serienmeister und Europacup-Champion, hilft, wo er kann. Organisierte Unterkünfte und Verpflegung und holte die ukrainischen Spieler teilweise selbst aus dem Krisengebiet.

Einer dieser Helfer ist Großwallstadts Geschäftsführer Michael Spatz. Der frühere Nationalspieler und langjährige TVG-Profi nahm den ukrainischen Kapitän Jewgen Schuk, dessen Frau und den Hund der Familie, einen Mops namens Mafia, bei sich auf, ehe das Team ins Sporthotel zog.

"Man hat ihnen die Strapazen und die Angst angesehen", sagte Spatz dem Nachrichtenmagazin Spiegel. Gespräche habe man mit Google übersetzt. Schuk hatte vor seiner Flucht noch für einen russischen Verein gespielt. Deutsch spricht er wie viele seiner Mitspieler nicht.

In Großwallstadt trainieren die Ukrainer zwei Mal täglich und versuchen sich so gut es geht für kommende Aufgaben fit zu halten. Denn zumindest auf sportlicher Ebene gibt es einen Hoffnungsschimmer: Nachdem sie die WM-Qualifikationsspiele gegen Finnland absagen mussten, gilt Lochmann mit seiner Mannschaft als aussichtsreicher Kandidat auf eine WM-Wildcard für das Turnier im Januar 2023 in Polen und Schweden. Es wäre für die gebeutelten ukrainischen Handballer ein weiteres kleines Stück Normalität.

SID

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