21 Jahre lang musste Tina Stockhorst warten, nun ist ihr großer Traum in Erfüllung gegangen: Bei ihrer vielleicht letzten Deutschen Meisterschaft gewann die 38-Jährige mit den CAIPIranhas den Titel.

Der große Wurf: Stockhorsts magischer Moment im Finale

Kurz vor dem entscheidenden Wurf im Finale blickte Tina Stockhorst sich noch einmal zu ihren Mitspielerinnen um. Die 38-Jährige war die fünfte Werferin im Shoot Out gegen die Minga Turtles, mit einem Treffer würde sie ihre CAIPIranhas zur ersten Deutschen Meisterschaft der Vereinsgeschichte werfen.

„Es war geplant, dass ich den letzten Wurf nehmen soll, aber ich habe mich kurz umgeguckt, um mich zu versichern: Seid ihr sicher?“, beschreibt Stockhorst den kurzen Moment des Zweifels wenige Tage nach dem Finale. „Wir brauchten ja nur einen Punkt und dafür war ich eigentlich am wenigstens trainiert, weil ich ja seit Jahren nicht mehr in der Halle spiele.“

Bereits 2018 hatte die frühere Zweitligaspielerin ihre Handballschuhe beiseitegestellt und sich fortan ganz dem Beachhandball, den sie „ihre große Passion“ nennt, verschrieben. Stockhorst stand schon im Sand, als der Kempa noch drei Punkte zählte und sprang schon Spinshots, als einige ihre heutigen Mitspielerinnen noch nicht auf der Welt waren. In diesem Moment in Cuxhaven war die 360-Grad-Drehung nicht gefragt. Es lag nur noch ein ganz normaler Sprungwurf mit Torerfolg - ein „Einer“, wie die Beachhandballer ihn nennen - zwischen ihr und einem lang ersehnten Ziel: dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft.

21 Jahre nach ihrer ersten Teilnahme an einer Deutschen Meisterschaft hatte Stockhorst es am Strand von Cuxhaven in diesem Finale selbst in der Hand, sich ihren Titeltraum endlich zu erfüllen. „Ich habe mir dann gesagt: Es kommt weniger auf die Qualität des Wurfes an, das ist eine mentale Sache“, erinnert sie sich. „Und ich habe bei uns im Team einfach die meiste Erfahrung.“

Stockhorst trat also wie geplant als letzte Werferin an - und warf ihre Mannschaft zur ersten Deutschen Meisterschaft. Nach dem Treffer stürmten ihre Mitspielerinnen auf die 38-Jährige zu, der Rest war pure Freude. „Unbeschreiblich. Bombastisch. Total unrealistisch“, versucht Stockhorst ihre Gefühle in diesem Moment in Worte zu fassen. „Ich konnte nicht glauben, dass wir es endlich geschafft haben und Deutscher Meister sind.“

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Ein Beachhandballleben: 21 Jahre Leidenschaft, Rückschläge und Comebacks

Um die Bedeutung dieses Augenblicks für Stockhorst - und zahlreiche ihrer langjährigen Weggefährtinnen bei den CAIPIranhas, die in den Stunden nach dem Titelgewinn teils unter Tränen anriefen, um zu gratulieren - zu erfassen, muss man einen Blick in die Vergangenheit werfen.

Als Stockhorst 2004 ihre erste Deutsche Meisterschaft in Cuxhaven spielte, hieß der Bundeskanzler noch Gerhard Schröder, das iPhone war noch nicht erfunden und Fußball-Erstligist Werder Bremen gewann das Double vor dem FC Bayern München. Seitdem läuft die heute 38-Jährige für die CAIPIranhas auf. Sie erlebte den Absturz und das Wiedererblühen des Beachhandballs in Deutschland mit, spielte 2015 eine Europameisterschaft und erlebte ebenso schöne wie bittere Momente.

„Ich habe 21 Jahre lang warten müssen, um diesen Titel zu holen“, beschreibt Stockhorst einige Tage nach dem Finale. „Wir gehörten jedes Jahr zu den Favoriten, es lag immer in der Luft, aber wir sind immer an uns selbst gescheitert.“ Zweimal stand ihr Team bereits im Finale: 2014 zogen die CAIPIranhas gegen das damalige Überraschungsteam Brüder Ismaning den Kürzeren, 2021 unterlagen sie den Minga Turtles. Ansonsten war jedes Jahr vorher schon Schluss.

Mitunter schien es schon fast ein Fluch zu sein: Kein deutsches Frauenteam ist international auf Vereinsebene aktiver und erfolgreicher als die CAIPIranhas, die über die letzten Jahre zu einem Dauergast beim Finalturnier der Europäischen Beachhandball-Tour (EBT) avancierten. Dafür steckten Stockhorst und ihre Teamkolleginnen unheimlich viel Zeit, Energie und auch Geld in den Beachhandball, um die Reisen zu den Turnieren quer durch Europa zu bezahlen.

Nur national blieb man immer hinter den eigenen Erwartungen zurück. „Es ist auch der Titel von all den Spielerinnen, die über die Jahre dabei waren und es so oft versucht haben“, betont Stockhorst. Dass sie in Cuxhaven mit Abstand die Älteste in der Mannschaft war, spielt keine Rolle. „Wir haben - bis auf mich - ein brutal junges Team, aber es harmoniert einfach“, sagt sie. „Und die jungen Spielerinnen sind an vielen Stellen längst besser als ich. Sie sind super ausgebildet und spielen auf einem ganz anderen Niveau.“

Mit zwei Turniersiegen in Bartenbach und Altenheim sowie einem 7. Platz in Geislingen buchten die CAIPIranhas sicher das Ticket für das Finalturnier. Als Gruppensieger gelang in Cuxhaven der Schritt ins Viertelfinale, wo es einen klaren Sieg gegen Außenseiter Black Swans gab. „Nach dem Sieg ist eine Last abgefallen und wir haben uns gesagt: Jetzt können wir befreit aufspielen und wollen jeden Augenblick auf dem Center Court genießen. Dieser Spirit hat uns extrem geholfen.“

MVP im Moment des Triumphs: Emotionale Ehrung für eine Legende

Einen ganz besonderen Augenblick auf dem Center Court gab es nach dem gewonnenen Finale für Stockhorst: Die Auszeichnung als Most Valuable Player (MVP) des Finalturniers war die ganz persönliche Krönung des ersehnten Titelgewinns. Den Aufruf ihres Namens verpasste sie allerdings. „Als die persönlichen Auszeichnungen anfingen, habe ich noch einmal das Handy rausgeholt, weil so viele Nachrichten eingingen und ich mir dachte: Es braucht ja noch einen Moment, bis wir als Team dran sind“, schmunzelt Stockhorst. „Und auf einmal haben unsere Mädels alle aufgeschrien.“

Sie habe wissen wollen, was passiert sei, lacht Stockhorst, „und sie schrien nur: Du bist MVP! Das bedeutet mir so viel - gerade, weil ich auch aufgrund der vielen Nationalspielerinnen gar nicht damit gerechnet hätte, dass ich es werden könnte.“ Unter Tränen betrat Stockhorst den Center Court, nahm die Auszeichnung entgegen und wurde gefeiert.

Ausgerechnet zwei Teams, die das erste Mal in Cuxhaven waren, stimmten dann noch einen „Tina“-Sprechchor an - und für einen Moment gehörte der Center Court nur Stockhorst. „Die Karlsruher konnten gar nicht ermessen, was dieser Titel für mich bedeutet, aber sie haben sich mit mir, mit uns gefreut“, sagt die 38-Jährige und muss schlucken. „Ich hatte einfach das Gefühl, dass mir diese Auszeichnung von Herzen gegönnt wird, ich habe auch danach sehr viel Zuspruch bekommen. Das ist unheimlich schön.“

Als Stockhorst, die seit ihrer Hochzeit 2022 eigentlich Orlamünder heißt („es war irgendwie schwer, das in der Beachhandballszene durchzusetzen“), kurz darauf zum zweiten Mal den Center Court betrat, um mit den CAIPIranhas die Goldmedaille in Empfang zu nehmen, standen die geschlagenen Konkurrentinnen Spalier - es gab in Cuxhaven wohl kaum einen Beachhandballer, der sich nicht mit den CAIPIranhas gefreut hätte. Und dann, endlich, durfte Stockhorst als Kapitänin die Trophäe in die Höhe reißen: „Das war natürlich ein extrem emotionaler Moment.“

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Rückblick, Dankbarkeit - und vielleicht ein leiser Abschied?

Meistertitel und MVP-Ehrung: Eigentlich wäre es der perfekte Moment, um auch im Beachhandball die Karriere zu beenden, oder? „Eine Stimme in meinem Kopf hat das tatsächlich auch schon gesagt“, schmunzelt Stockhorst. „Ob ich wirklich ganz aufhöre, weiß ich nicht, aber ich kann mir gut vorstellen, nächstes Jahr den Jungen den Vortritt zu lassen, nur noch als Backup da zu sein - und mit den Oldies auf der EBT zu zocken.“

Denn Stockhorst war in Abwesenheit ihrer Zwillingsschwester Sabine, die in der Saison spielte, aber nicht zum Finalturnier fahren konnte („ich hätte mir so gewünscht, sie bei dem Titel an meiner Seite zu haben“), nicht nur die erfahrenste Spielerin im Gold-Kader der CAIPIranhas, sondern in Cuxhaven auch die einzige aktive Spielerin aus der ersten Generation, die über lange Jahre die Fahne hochhielt. Doch den Umbruch, der andere Teams zerbrechen ließ, meisterten die CAIPIranhas nahezu geräuschlos. „Wir haben jahrelang auf einen festen Kern gesetzt, aber irgendwann kam der Punkt, an wir uns gesagt haben: Wir werden alt und brauchen Nachwuchs“, grinst Stockhorst.

Von der Spielerin zur Mentorin: Die CAIPIranhas im Umbruch

Gesagt, getan: Nach und nah wurden junge Spielerinnen, oft aus der Region, integriert. Stockhorst, die sich als Trainerin im Stützpunkt in Bartenbach engagiert und gemeinsam mit CAIPIranhas-Trainerin Stefanie Frank die Abteilungsleitung der vor vier Jahren gegründeten Beachhandball-Sparte des TSV Bartenbach bildet, hatte großen Anteil daran. „Ich bin so dankbar, dass wir den Umbruch geschafft haben“, sagt sie heute. „Damit, dass wir das Team erhalten konnten, ist ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen.“

So springen bei Jugendturnieren bereits „kleine CAIPIranhas“, wie Stockhorst den Nachwuchs liebevoll nennt, durch den Sand; sie trainiert selbst die C-Jugend. „Die sind Feuer und Flamme und freuen sich, wenn eine von den Mädels ins Training kommt“, schwärmt sie. „Wir haben uns hier in der Region einen Namen gemacht und das ist toll zu sehen.“ Und auch ihre eigenen Kinder sind „natürlich schon mit dem Beachhandball-Fieber infiziert“, lacht Stockhorst.

So wird Stockhorst - selbst, wenn sie nicht erneut in Cuxhaven aktiv auflaufen sollte - dem Beachhandball auf jeden Fall verbunden bleiben. Ein Leben ohne den Sand? Nicht vorstellbar. Selbst während ihrer Schwangerschaften reiste sie mit zu den Turnieren der CAIPIranhas und stand an der Seitenlinie. „Wahrscheinlich bin ich einfach ein bisschen verrückt“, grinst sie. „Beachhandballverrückt.“ Mann und Kinder begleiten sie oft, „anders wäre das nicht möglich“.

Selbst zu ihren Zeiten in der 2. Bundesliga hätte sie, das sagt sie offen, dem Beachhandball den Vorzug gegeben, wenn sie sich zwischen Halle und Sand hätte entscheiden müssen. „Ich hatte ein Riesenglück, dass ich immer Trainer hatte, die den Beachhandball unterstützt haben, weil sie gesehen haben, was es mir bedeutet“, beschreibt sie. „Sie haben gesagt: Wir sehen, dass du dort nicht nur zum Spaß hinfährst, sondern Leistungssport machst - und dadurch eine bessere Leistung in der Halle bringst.“

Waren es all der Aufwand, all die Zeit und all das Geld, was sie über die Jahre reingesteckt hat, wert? Stockhorst zögert mit der Antwort keine Sekunde: „Ja, auf jeden Fall“, sagt sie. „Ich möchte keine einzige Beachsaison missen und ich bin unglaublich dankbar, dass mein Mann und meine Kinder das immer unterstützt haben. Diese Deutsche Meisterschaft ist der Lohn für alles, was ich investiert habe.“

Foto: Michael Hinz

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